Leonidas

Ein weiterer, windiger Tag in der Bucht. Schon beim Aufstehen, stehen 41 kt als Windspitze auf der Anzeige – aber da geht noch was! Am Abend sind es dann 44,2 – das sind genau 80 km/h oder 9 Bf. Das hat dann wirklich was.

Wir verbringen die Zeit mit lesen oder gelegentlich ins Wasser steigen. Wobei, schwimmen darf man eh nicht! Immer einen Hand an der Badeleiter, wenige Zentimeter hinter dir das Dinghi und von links und rechts wird man von den Wellen und der Gischt angespritzt. Also eher kein Vergnügen – aber zumindest Abkühlung.

Der Abend wird immer herbeigesehnt, da wird einerseits die Luft angenehmer und andererseits lässt der Wind etwas nach – oder man kann sich das zumindest einreden. Viel ist es ja nicht, die Pausen zwischen den Böen werden einfach etwas länger und es hat nur mehr 15 – 20 kt als „normalen“ Wind.

Der Wind ist ohnehin unser Hauptthema: Wann kann es weiter gehen, wohin, unter welchen Bedingungen, sollen wir nach Livadi zurück wechseln, gäbe es dort einen guten Ankerplatz für uns, wie groß ist der Leidensdruck zur Flucht = welche Wetterbedingungen würden wir als Maximum für die Weiterfahrt akzeptieren, …

Morgen wird das jedenfalls nichts mit der Weiterfahrt: Wellen von >1,5m und dagegen aufkreuzen, das ist nicht unser Ding. Vielleich am Donnerstag oder am Montag – man weiß es noch nicht so genau.

Nach unserem Abendessen, während dem die Sonnen hinter dem Hügel verschwindet, fällt Susi auf, dass da noch ein Segelschiff in die Bucht kommt. Eine Bavaria C46, eine typische Charter-Dschunke. Sie kämpft sich mühsam gegen den Wind Meter um Meter auf uns zu. Gischt spritzt immer wieder an ihrem Bug hoch. Kaum ist sie in unserer Nähe, beginnen sie die Bucht  zu erkunden, kommen nahe bei uns vorbei, um sich Tipps für den besten Ankerplatz zu holen.

Dann beginnen sie in der Bucht hin und her zu kreisen, mal da, mal dort, machen aber keine Anstalten zu ankern. Es geht jemand zum Ankerkasten und dann doch wieder zurück ins Cockpit. Dort sitzen auch 2 Frauen und 2 Kinder, in den typischen, billigen Schaumstoff-Schwimmwesten. Die Herren der Schöpfung, zwei an der Zahl, für die reicht ein T-Shirt zum Überleben im Falle des Falles

Es wird immer dunkler und die haben noch immer kein Licht eingeschaltet – völlig dunkles Schiff in einer völlig dunklen Bucht. Wir machen uns durch unser Decklicht sichtbarer und sind dann sowas wie ein „Leuchtturm“. Auf Anrufe per Funk reagieren sie nicht, aber dazu sind Crews in Buchten ohnehin meist zu gestresst.

Wieder eine Vorbeifahrt: „no anker windlass, no electricity at all, we can not drop anchor!” Na bumm, das ist jetzt echt nicht lustig. Jetzt verstehe ich auch, warum sie auf meine Anrufe per Funk nicht reagiert haben. Am Bug wird weiter gearbeitet, an der Ankerwinsch herum geschraubt und geklopft. Offensichtlich wollen sie die Freifalleinrichtung lösen, und die ist aber, wie bei Charter-Dschunken oft üblich, hoffnungslos festgefressen.

Nächste Vorbeifahrt: „How deep is it? Good holding?“ Naja, eigentlich ist die Bucht für so Situationen ideal. Gleichmäßig flach und 4-7 m tief, fast ausschließlich Sandboden.
„Now we can drop anchor, but only once!“

Na Danke, also irgendwo den Anker ins Wasser werfen und hoffen, dass er so gut hält, dass die massiven Böen keine Probleme bereiten. Wie soll man einen aus dem Boden gerissenen Anker heraufholen, wenn die Winde nicht funktioniert? Außerdem – wohin fährt man in der mondlosen Nacht? Wo ist das Ufer? Wie tief ist das Wasser? Wie ist der Ankergrund?

Es ist mittlerweile stockfinster. Wir haben unser Decklicht immer noch eingeschaltet, um wenigstens klar zu machen, wo wir stehen. Die Bavaria ist nicht gut erkennbar in der Dunkelheit

Letzte Vorbeifahrt: „Light, please – Light, please“. Klar, ich hab mit meiner Handlampe ohnehin schon den Weg angezeigt. Jetzt leuchte ich auf eine der kleinen Bojen der Schwimmzone. Bis dort hin können sie gut fahren und der Boden ist tiefer Sand, hält also gut.

Der Kapitän muss mir in seiner Verzweiflung einfach vertrauen, aber er hat keine andere Wahl. Er fährt mehr oder minder mutig meinem Lichtstrahl nach. Kurz vor der Boje hören wir ein erstes Rasseln der Ankerkette, aber nicht sehr lange. 10 Meter? 20 Meter? Bei einer Wassertiefe von 5-6 m könnte das reichen. Die Bavaria geht sofort auf Drift – hoffentlich wird der Anker fassen.

In dem Moment schwingt das Schiff herum. Das geht nur, wenn der Anker im Boden steckt. Und sofort wird weitere Kette nachgelassen, viel Kette. Die Bavaria liegt fest am Anker – gut so. Erleichterung auf beiden Seiten.

Kurz darauf geht am Schiff das Ankerlicht an, es gibt also wieder Strom. „The red and white ship, which helped us to anchor”, tönt es plötzlich aus dem Funk. “PHILIA is here”.
“This is LEONIDAS. Thanks for your help and support.”

„How much chain have you out?”, will ich noch wissen.
“No idea! I am a charter boat and there are not any markings.“

Wenig hilfreich, so ein Schiff. Naja, wenigstens haben sie ihre Reise von Milos hier her hinter sich gebracht. 1,5 m Welle, ständig unter Motor, alles nass von der Gischt, die der Wind bei jeder Welle über das Deck trägt, die Crew verängstigt. Und je näher sie uns gekommen sind, um so stärker wurden die Böen und um so dunkler wurde es.

Nichts was man unbedingt erleben will.

Was war passiert?
Eine ihrer Batterien hat angefangen zu überhitzen, weil ein Laderegler kaputt gegangen ist. Da haben sie schnell allen Strom abgeschaltet, um nicht das Schiff anzuzünden. Dann war die Ankerwinde schlecht gewartet und der Anker konnte nicht einfach manuell hinab gelassen werden. Da musste erst die Freifallvorrichtung repariert werden, was noch mehr Zeit gekostet hat. Jetzt, vor Anker,  konnten sie die kaputte Batterie abschließen und leben jetzt von der zweiten. Das Schiff funktioniert also wieder – zumindest ein bisschen.

Die Crew der LEONIDAS hat sich diese Nacht wirklich verdient.

Am nächsten Morgen machen sie sich wieder auf. Sie haben wohl den „guten“ Wind genutzt, um von Athen weit nach Süden zu kommen. Sind dann in Milos eingeweht worden und jetzt geht ihnen die Zeit aus. Egal was der Wind macht, sie müssen zurück!

Charter Schicksal.