The long run

Unsere Hauptbeschäftigung ist es mittlerweile, die verschiedenen Wettervorhersagen zu studieren und Ausschau nach einem Weg „auf die andere Seite“ zu suchen. Es sind immerhin gut 60 Meilen bis Poros. Dazwischen liegt die offene Ägäis, auf der sich der Meltemi austobt. Das gibt dann 35 kt und Wellen bis 1,8 m – das muss echt nicht sein.

Für uns liegen die Limits bei 1 m Welle und Böen bis 25 kt. Andererseits wollen wir auch nicht 9 Stunden durch tote Luft dümpeln. Also wir sind da ein bisschen anspruchsvoll. Da kommt dann dazu, dass die Limits für Susi niedriger liegen als für mich, sie hingegen kein Problem hätte bei Ententeich-Bedingungen stundenlang zu motoren, ich fände das schrecklich.

Vier Varianten zeichnen sich ab
A) Hier bleiben, bis der Meltemi verstummt. Das dürfte am Montag der Fall sein, heute ist Mittwoch. Noch länger dasitzen, freut mich aber gar nicht. Dann aber ist Ententeich angesagt.
B) Die 1 ½ Stunden zurück nach Livadi fahren. Dort ist der Wind vielleicht nicht gar so böig und wir kämen dann leichter an Land. Da gibt es dann Zugang zu Lokalen, zu Lebensmitteln oder man könnte sich auch was anschauen. Und dann am Montag wieder Ententeich.
C) Im Windschatten der Inseln Kea und Kythnos nach Norden aufkreuzen. So kämen wir wenigstens ein Stück näher an Poros heran und hätten bei einer Querung einen besseren Winkel zum Wind. Trotzdem müssten wir dann halt in Kythos bis Montag warten, bis die Querung für uns passierbar wird – bei Ententeich – Bedingungen
D) Scheiß drauf, wir segeln los. Es schaut so aus, also ob gegen Mittag der Wind und die Wellen etwas nachlassen und wir bis nahe an Poros heran segeln könnten. Wir wären halt an unseren Limits

Nach einer unruhigen Nacht und der Erkenntnis, dass nacheinander alle Schiffe, insgesamt 6 aus der Bucht verschwinden und wir schon wieder die einzigen sind, meint Susi: „Los geht’s!“ / „Wohin, nach Kythos?“ / „Naaa, sicher nicht -Poros!“

Eigentlich noch sehr gemütlich, aber doch zügig, wird das Schiff seefest gemacht: Bimini wieder aufstellen, die Solarzellen montieren, Dinghi ans Heck schnallen, im Salon alles verräumen, was hinunterfallen könnte, Tunfisch-Nudelsalat kochen und vorbereiten – unsere Standardspeise bei langen Überfahrten.

Um 10:30 sind wir soweit und ziehen den Anker aus dem Sand. Er wehrt sich, weil er sich so tief eingegraben hat. Das ganze Gezerre an der Kette bei 46 kt (80 km/h), hat ihn genau 20 cm rutschen lassen! Mit etwas Schwung können wir ihn ausbrechen. Gleich wird das Großsegel gesetzt, aber nur ein bisschen – man weiß ja nicht, was kommt. Die Genua noch dazu, auch nur im 1. Reff, und schon ist PHILIA mit 6 kt im Rückenwind unterwegs.

Schon nachdem wir die Bucht verlassen haben, drehen wir den Kurs auf Halben Wind und die Nase der Philia genau nach Westen. Bis zur Südwest-Ecke von Serifos ist es nicht weit. Spannend ist, was danach kommt. Wie stark ist der Wind, wie hoch sind die Wellen? Und wir wissen ja, dass wir zuerst durch eine noch etwas geschütztere Zone kommen.

Ist aber doch ganz nett, was da auf uns zu kommt: 17 kt Wind und Welle, naja so einen ¾ m, manche höher, rollen da an. Zum Glück sind die Wellen recht rund und nicht wie so oft spitz und steil. Die würden dann öfter brechen. Das ist zwar nicht gefährlich, aber kein gutes Gefühl. So passt es uns besser, viel besser.

Wir werden keck und probieren was geht – alles geht! PHILIA mit Vollzeug in Wellen die bald 1 ½ m erreichen. Da kommt es schon vor, dass das Deck nicht nur ein paar Spritzer abbekommt, sondern bis zum Mastfuß eine gründliche Spülung bekommt. Bei dem Dreck den sie im Meltemi in der Bucht aufgesammelt hat, eine grausige Mischung aus Salz und Sand, tut ihr das nur gut. Die Wellen kommen so passend daher, dass sich PHILIA immer irgendwie drüber mogelt. Selten platscht sie mit dem Bauch hinein. Das kostet immer Fahrt, so aber schafft sie 7 kt – dauerhaft!

Wir brettern also hart am Wind dahin, und sehen am Plotter, dass zwar der Bug nach Poros zeigt, die Fahrt aber wahrscheinlich in Portocheli, gut 30 Meilen im Süden, enden wird. Warum wir so viel Abdrift haben ist uns aber nicht klar. So um die 15° bei diesem Kurs, das kenne ich, aber 30° oder mehr? Ich schalte am Plotter einmal die Anzeige für die Tidenströmung ein: 3,5 kt im rechten Winkel auf unseren Kurs.

Na eh klar: Der Meltemi hatte eine Woche Zeit, die Ägäis so richtig in Schwung zu bringen. Jetzt rauscht sie mit bis zu 7 kt zwischen Euböa und Andros durch! Wir erwischen hier den Ausläufer der Strömung und bekommen eben die 3,5 kt ab. Kann man was dagegen tun? Nein, nur hoffen, dass es wir aus dieser Strömungszunge irgendwann rauskommen und der Weg nach Nordwesten wieder möglich wird.

PHILIA und wir kämpfen tapfer, Schräglagen von 15 bis 20° sind heute „normal“, wenn eine Welle ungünstig unter uns durch geht, kann das gerne auch mehr sein. Susi erkennt im Dunst die „Windrad-Insel“. Eigentlich heißt sie ganz anders, aber ihr einziger Zweck ist es, einen Windpark mit fast 50 Windrädern zu beherbergen. Sie markiert die Mitte der Strecke über diesen Teil der Ägäis – zumindest, wenn man genau von Ost nach West, also von Kythnos nach Poros, fährt. Wir schaffen es jetzt, das westliche Ende der Inseln anzupeilen. Das ist natürlich viel zu nördlich für unser Ziel, aber so schaffen wir es, wieder auf unsere Kurslinie zu kommen.

Wir spielen ständig mit den Segelstellungen, machen sie einmal kleiner, weil der Wind grad auf 24 kt zulegt, oder vergrößern sie wieder, weil er jetzt wieder mit nur 14 kt eine Pause einlegt. Unser Ziel ist klar: Material schonen und trotzdem so schnell wie es das Schiff zulässt. Mehr als 7,5 kt kann PHILIA schon rein physikalisch nicht. Ab dieser Grenze wird es eine echte Quälerei, für das Schiff, aber auch für die Crew. Segeln bei hohen Schräglagen ist auch nicht wirklich entspannend.

Nach fast 8 Stunden anstrengender Arbeit dreht der Wind immer weiter nach hinten, das macht ihn weniger brauchbar für uns, und er legt sich langsam zur Ruhe. Um ¼ 7 zünden wir den Diesel. Es wäre schon noch ein Stück weit gegangen, aber wir wollen in Poros bei Tageslicht ankommen. Dort ist in der Regel viel los, und ein ruhiger Platz muss erst gefunden werden.

Da hab ich eine Idee: Barbara von der LAUSA hat uns erzählt, dass sie immer an einer gemieteten Boje liegen. Und im Noforeignland.com steht sogar die Telefonnummer vom Herrscher über die Bojen. Ein paar Anrufversuche und die Sache ist gebongt: Wir bekommen einen Bojenplatz! Wir sollen halt anrufen, wenn wir in der Nähe sind.

So entspannt denken wir endlich dran, heute auch was zu essen. Der Nudelsalat muss dran glauben, dafür war er ja da. So nähern wir uns Poros, nützen dabei auch die Chance, unseren Wassermacher nochmals laufen zu lassen. Das Wasser in Poros möchten wir ihm nicht zumuten. Wie geplant laufen wir um 19:30 den Durchfahrtskanal von Poros an und versuchen den Bojenmann zu erreichen. Beim dritten Versuch klappt es dann. Bald gibt er das Telefon an seinen Freund weiter, der besser Englisch spricht. Die Boje liegt beim Sportplatz, eine weiße Boje -früher war sie einmal orange – die zwischen zwei Schiffen liegt. Bitte sehr kurz anbinden, damit das Nachbarschiff, ein Wassertaxi älterer Bauart, von uns nicht beschädigt wird. Nur die Anfahrt ist trickreich, gibt es doch eine Stelle, wo unser Tiefenmesser nur mehr 10 cm unter Kiel anzeigt. Entsprechend nervös wird Susi. In Wirklichkeit sind es eh 40 cm, aber das muss sie ja nicht so genau wissen.

Das Fangen der Boje funktioniert, so leidlich. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das zum letzten Mal gemacht habe? Vielleich vor 3 Jahren in Kroatien? Bojen sind in Griechenland sehr unüblich.

So, da stehen wir nun. Gerade noch Zeit, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Dabei kommt doch glatt so ein Wassertaxi auf uns zu geschossen. Ah, der Bojenmann kommt zum Kassieren. 50 € für 3 Nächte. Kein Schnäppchen aber kaum teurer als im Hafen, in dem wir heute ohnehin keinen Platz bekommen hätten. Außerdem kümmert uns dann ein drehender Wind oder der berüchtigte Ankersalat überhaupt nicht.

Mir gefällt das!

Morgen ist dann „Pit Stop“ angesagt. Wäsche waschen, Bootspflege, Frühstück beim Bäcker, zum Uhrturm hinauf wandern und am Weg zurück bei der „Garten Taverne“ auf ein tolles griechisches Abendessen einfallen. Sehr gute Entscheidung, muss ich sagen.